In Reinräumen mit turbulenzarmer Verdrängungsströmung (TAV) gelangt die Luft über Filter-Ventilator-Einheiten über die gesamte Deckenfläche möglichst laminar in den Raum, durchströmt diesen kolbenförmig und verlässt den Raum durch einen perforierten Doppelboden.
Als Stand der Technik belüften Planer und Anwender solche Reinräume mit einer Zuluftgeschwindigkeit von 0,45 m/s ± 20 %, unabhängig von der Wärmebelastung im Raum. Ist diese hohe Zuluftgeschwindigkeit immer notwendig, um den Produkt- und Personenschutz sicherzustellen?
Ursprünge des Richtwerts
Die Ursprünge dieses Richtwertes liegen in der amerikanischen reinraumtechnischen Norm Federal Standard 209A aus den 1960iger Jahren [1]. Der Wert war im nichtverpflichtenden Anhang hinterlegt und gibt die Strömungsgeschwindigkeit in einem horizontal durchströmten Raum an, bei der ein 5 μm großes Partikel auf einer Distanz von 6,1 m (20 ft) um weniger als 10 % (2 ft) absinkt. Während der Richtwert aus der reinraumtechnischen Normenreihe DIN EN ISO 14644 bzw. VDI 2083 verschwunden ist, schreibt die pharmazeutische Industrie im EU-GMP Leitfaden der guten Herstellungspraxis (Annex 1, [2]) diesen Wert heute noch für vertikal durchströmte Räume mit TAV vor. Eine Distanzierung von diesem Richtwert und eine Anpassung der Zuluftgeschwindigkeit an die thermischen Lasten im Raum ist aus energetischer Sicht sinnvoll.
Modell: "kontaminiertes Raumvolumen"
Im Zuge meiner Promotion [3] habe ich am Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin ein praxisnahes mathematisches Modell entwickelt, das in einem Raum mit vertikaler laminarer Verdrängungsströmung den geometrischen Einflussbereich einer Wärme- und Partikelquelle beschreibt. Abbildung 1 zeigt die Prinzipskizze des „kontaminierten Raumvolumens“ anhand einer zylinderförmigen Wärme- und Partikelquelle im Raum. Die Abmessungen des kontaminierten Raumvolumens sind vom Kräfteverhältnis zwischen der natürlichen Auftriebsströmung an der Quelle und der erzwungenen Verdrängungsströmung abhängig. In numerischen Strömungssimulationen und experimentellen Untersuchungen im Forschungsreinraum des Hermann-Rietschel-Instituts wurde die Ausdehnung des kontaminierten Volumens und das Stabilitätsverhalten bei Variation der Einflussgrößen untersucht.

Strömungsstabilität
Die wesentlichen Einflussgrößen auf das kontaminierte Raumvolumen sind die Luftgeschwindigkeit der Verdrängungsströmung u_{\infty}, die konvektive Wärmeleistung \dot{Q}_{cv} sowie die Geometrie der Wärmequelle; bei einer Zylinderform entsprechend der Radius R und die Höhe der Quelle H.
Eine stabile Strömung ist für den bestimmungsgemäßen Betrieb entscheidend. Dominiert die natürliche Auftriebsströmung wird die Strömung instabil. Produkt- und Personenschutz können nicht mehr sichergestellt werden. Setzt man als Stabilitätskriterium fest, dass das kontaminierte Raumvolumen die Oberkante der Zylinderquelle um maximal 5 % überschreiten darf (\left( H_{\textrm{max}} -H \right) / H \leq 0,05), liefert die Gleichung (1) einen funktionalen Zusammenhang für eine stabile Strömung. Für Kombinationen der Einflussgrößen \dot{Q}_{cv} / \left(u_{\infty}^3RH \right) verhält sich das kontaminierte Raumvolumen gleich. Bis zu einem kritischen Zahlenwert von 23.690 Ws3m-5 bleibt die Strömung stabil. Mit dieser Gleichung ist es durch einfaches Umformen möglich, die Zuluftgeschwindigkeit an die Lasten im Raum anzupassen, bei gleichzeitiger Sicherstellung einer stabilen Strömung.
\left| \frac{\dot{Q}_{cv}}{u_{\infty}^3 RH} \right|_{kr} = 23690 \frac{\textrm{Ws}^3}{\textrm{m}^5} (1)
Energetische Betrachtung
Die Anwendung der Auslegungshilfe in der Gleichung bringt energetische Vorteile mit sich. Das Einsparpotenzial an elektrischer Antriebsleistung der Ventilatoren Pel gegenüber der elektrischen Antriebsleistung von 0,45 ms-1 P_{\textrm{el,ref}} bei einem beispielhaften quadratischen Reinraum mit einer Grundfläche von 25 m² und einer Höhe von 3 m, bei Reduktion der Zuluftgeschwindigkeit, zeigt die Abbildung 2. Reduziert man die Zuluftgeschwindigkeit von 0,45 ms-1 um 10 % auf 0,4 ms-1, beträgt die energetische Einsparung bereits > 20 %.

Wie groß das Potenzial ist, zeigt eine beispielhafte Abschätzung anhand einer zentralen Quelle an Verunreinigungen im Reinraum: am Menschen. Die Tabelle 1 gibt die notwendige Zuluftgeschwindigkeit zur Einhaltung einer stabilen Strömung und das energetische Einsparpotenzial bei unterschiedlichen Aktivitäten im Reinraum wieder. Bei einer stehenden Tätigkeit kann bspw. die Zuluftgeschwindigkeit um 49 % auf 0,23 ms-1 gesenkt werden, was eine energetische Einsparung von 76 % im Vergleich zur Referenzgeschwindigkeit von 0,45 ms-1 mit sich bringt.
Tabelle 1: Minimale Zuluftgeschwindigkeit zur Einhaltung des Stabilitätskriteriums, energetisches Einsparpotential
Beschreibung | \dot{Q}_{cv}, W | u_{\infty}, m/s | 1-P{el} / P_{\textrm{el.ref}}, % |
---|---|---|---|
Entspanntes Sitzen | 36 | 0.18 | 86 |
Leichte sitzende Tätigkeit | 41 | 0.19 | 84 |
Stehende Tätigkeit | 76 | 0.23 | 76 |
Werkstattarbeit | 120 | 0.27 | 67 |
Literatur
[1] FED-STD-209A (1966). Airborne Particulate Cleanliness Classes in Cleanrooms and Clean Zones. Institute of Environmental Sciences and Technology (IEST).
[2] Bundesministerium für Gesundheit (2008). Anhang 1 zum EG Leitfaden der Guten Herstellungspraxis.
[3] Hofer, V. (2019). Zum kontaminierten Raumvolumen von Partikel- und Wärmequellen in laminarer Verdrängungsströmung. Dissertation. Berlin: Technische Universität Berlin. doi: 10.14279/depositonce-8642